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von kaltblut » 16.04.2018, 17:32
Hallo,
es ist wieder was Wasser den Rhein runter geflossen. Vor 12 Jahren fing ich an hier im Forum zu lesen. Nach einigen Wochen habe ich mich angemeldet, große Augen und dicke Backen bekommen, der Kopf rauchte, es schüttelte mich durch und der Sabber lief aus mir heraus. Hier war ich nicht alleine.
Vielleicht war es die Erkenntnis, dass meine Exfrau Alkoholikerin war, die Vorstellung an all die kommenden Konsequenzen oder coabhängig zu sein, selbst alkoholabhängig zu sein, das Unvermeidliche nicht ändern zu können, als Macher machtlos zu sein, ich war ohnmächtig. Sicher ist, dass jeder Gedanke Angst erzeugt hat, Verlustangst, dass ich dachte etwas tun zu müssen, was nicht richtig schien. Dazwischen, also zwischen der Veränderung und der Gewohnheit, da ist es wie mit nacktem Hintern auf dem drehenden Schleifstein zu sitzen.
Ich denke immer noch darüber nach, wie so eine Situation entstehen konnte, was da in mir falsch gepolt war. Nichts. Ich war nur noch in der Lage, mit den neuen Situationen umzugehen, sie anzusehen, anzunehmen, zu handeln, etwas zu ändern.
Mit den ersten Menschen darüber zu reden, mich zu öffnen, zu begreifen, dass es nicht um das ging, wo ich mich drum drehte, sondern um mich, um mein Verhalten war anstrengend. Monatelang ging alles um meine Frau. Monatelang drehte sich alles um den Alkohol. Später um meine Abhängigkeiten und dann um mich, nur noch um mich. Was war das für eine gewaltige Anstrengung mit Gewohnheiten zu brechen, mit Menschen, mit Verhalten, mit Eingeprägtem, mit Erziehung, mit Gefühlen. Nicht zu trinken z. B. ist eine Sache, die darauf folgenden Andeutungen und Konsequenzen wegzustecken war etwas ganz anderes, in der Familie, im Job, mit Freunden, auf Feiern. Die Kunden schauen plötzlich misstrauisch, wenn sie eine Flasche Wein zum Abendessen alleine trinken sollen. Oder anderen Menschen weh zu tun, weil es nicht um sie, sondern um mich ging, das war auch neu für mich. Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, die da seit Jahrzehnten fest saßen, nur daran denken und sie zu erkennen, war wie Schleifstein sitzen. Ich kann heute nichts mehr viel dabei empfinden, wenn ich daran denke, wie ich damals Rotz und Wasser geheult habe und nächtelang um die Häuser gelaufen bin und nicht verstehen konnte, was in mir ablief. Ich möchte auch nicht mehr daran kratzen, denn durch Kratzen gibt es Entzündungen. Die Erfahrungen musste ich damals machen. Stirb und werde.
Im Heute sein, lassen, grundlos, ordnen, ehrlich sein, Ernährung, Bewegung, Umfeld, Sonne, Luft, Schlaf und auf den Punkt kommen, Müll weg, Umwelt, Umfeld. Da liegt alles drin, mehr ist das nicht. Mir helfen die paar Worte enorm weiter, wenn mal was nicht stimmt. Einfach nacheinander nachschauen, sortieren und die Löcher wieder füllen, die Gedanken auspacken oder suchen und ausgraben. Gelegentlich oder für einen anderen, ist das genau das Gegenteil.
Ich habe sie mir aufgeschrieben, diese paar Worte, denn oft genug habe ich sie vergessen, dann sind sie weg. Aber Neues, das kommt von ganz alleine immer wieder und dann fängt das eine und andere wieder von vorne an. Nur, es gibt jetzt immer mehr was ich mir nicht mehr erlauben kann, denn aus unendlich ist endlich geworden.
Gene, Erziehung, Angeeignetes, Gesellschaftliches, Umweltbedingtes, Situationen, haben mich unbewusst und bewusst geformt und das ist ja nicht unbedingt so, wie meine Zellen das so wollen. Ein natürlicher Bewegungsdrang wird durch die Sitzerei am PC bestimmt nicht gefördert. Würde ich täglich an der Liane durch den Urwald schwingen, dann wären die herunterrutschten Muskeln bestimmt noch da oben, wo sie gut aussehen und nicht wampidar im Mittelpunkt des Geschehens.
Je mehr Abweichung, je mehr Anpassung ist erforderlich. Je mehr Anpassung, je mehr Auseinandersetzung, je mehr krank, je früher verbraucht oder hin. Ganz einfach. Meine Uhr läuft nicht schneller ab, weil ich 1 Stunde Sport mache oder mich gelegentlich aufrege, sondern weil ich permanent Dinge in meinem Organismus zu Recht rücke, tagsüber mit offenen Augen und nachts, wenn ich abgeschaltet bin.
So was zu denken und danach zu handeln wäre mir von 12 Jahren nicht möglich gewesen. Vielleicht auch, weil ich anders konnte, weil ich einen schwierigen Weg einfach gehen konnte und weil es heute einfach sein kann, einfach sein muss.
Danke, an die Vielen, die mich begleitet haben, zum Nachdenken und Handeln brachten. An "in 12 Jahren" hätte ich nie gewagt zu denken, an heute schon und da ist viel Zeit draus geworden, die wünsche ich jedem.
LG Kaltblut