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von Karsten » 22.03.2011, 08:48
Fortsetzung
Die nächsten Tage verbrachte ich mit dem klaren Gedanken, die Entgiftung abzusitzen und dann wieder weiter zu machen, wie bisher. Ich sah keinen Sinn darin, von einem Obdachlosenheim in eine Wohngemeinschaft zu ziehen, was zu diesem Zeitpunkt für mich irgendwie das Gleiche war.
Ich wollte ein Leben, wie es andere Menschen auch führten mit eigener Wohnung und einer Arbeit, wo ich gutes Geld verdienen würde.
Zu meinen nassen Zeiten habe ich diese Menschen, die so ein Spießerleben führten, sogar oft beneidet, wenn ich abends durch die Strassen ging und die glücklichen Familien gesehen habe, die beleuchteten Fenster wo es warm gewesen sein muss und wo man nicht in eine Suppenküche gehen brauchte, wenn man Hunger hatte.
So ein Leben wollte ich auch, aber sofort und nicht über eine neue Wohngemeinschaft, wo mir wieder gesagt werden würde, was ich zu tun oder zu lassen hätte.
Ich hatte mich also entscheiden und auch einen Grund gefunden, warum bei mir alles ganz anders ist, mir eh niemand eine Chance gab und ich aus dem Kreislauf des Trinkens nicht rauskommen kann.
Die Entgiftung sollte drei Wochen gehen, aber zwei Tage vor dem ende der zweiten Woche, als dem Freitag, musste ich zu dem Psychologen. Dieser fragte mich, wie es mir geht und wie es mit mir weiter gehen sollte. Er sprach auch davon, dass ihm aufgefallen war, dass ich mich verändert hatte in der letzten Woche, was er sehr bedauerte.
Da ich den Psychologen mit seinem geschwollenen Gerde eh nicht leiden konnte, wollte ich mich auch nicht mit ihm über meine Gedanken und der Entscheidung, die ich für mich getroffen habe, unterhalten.
So sagte ich das, was er wohl hören wollte. Ich erzählte ihm, dass ich es jetzt verstanden habe, mir Zeit geben muss, weil ein neues Leben nicht von heute auf morgen kommen kann und dass ich mich auf kleine Schritte einstellen muss, die mich dann ja irgendwann zu einem zufriedenen nüchternen Leben führen würden.
Ob er mir meine Worte abnahm, konnte ich in seinem Gesichtausdruck nicht ablesen, aber ich erzählte immer weiter und war mir sicher, dass er genau das hören wollte und dann mit meiner Entwicklung auch zufrieden sein würde und ich meine Ruhe haben würde.
Er ließ mich ausreden, ohne mich zu unterbrechen. Als ich fertig war, fragte er mich, welchen Zeitraum ich denn meinen würde, bis zu dem neuen Leben und ob ich es nicht viel schneller wünschte. Eigentlich waren das ja meine wahren Gedanken, aber ich merkte an seinem Ton, dass es ihm wohl genau darum ging, mich zu verunsichern.
Entweder hatte er verstanden, dass ich ihm gerade ein Märchen erzählt hatte oder er wollte mich ermuntern, das ich an das festhalten sollte, was ich ihm gerade erzählt hatte, denn schon alleine durch die Wohngemeinschaft, würde schon ein Jahr vergehen, wenn ich die Broschüre richtig in Erinnerung hatte, bevor da überhaupt von einer eigenen Wohnung die Rede war. Das ganze Programm war ja darauf ausgerichtet, lange zusammen zu wohnen und dann langsam im Rahmen einer Betreuung ins eigene Leben entlassen zu werden.
Irgendwie kam ich mir vor ( auch wenn diese Entgiftung keinen dauerhaften Erfolg hatte, ist mir das Gespräch noch heute in Erinnerung, weil es bis zum heutigen Tag das einzigste Mal war, dass ich mich ernsthaft mit einen Psychologen unterhalten hab. ), dass wir irgendwie ein Katz und Maus Spiel betrieben. Ich fühlte mich auf der einen Seite überlegen und auf der anderen Seite durchschaut, weil ich das Gefühl hatte, er glaubt mir kein Wort.
Nach ca. dreißig Minuten, wo er mich immer wieder mit verschiedenen Fragen nach meinen Schritten, wie ich den mein neues Leben aufbauen möchte, fragte, griff er zum Telefon. Wie ich aus dem folgendem Gespräch hören konnte, erkundigte er sich ob ein neuer Mitbewohner ( also wahrscheinlich ich ) am Montag in die Wohngemeinschaft aufgenommen werden könnte. Mit einem Nicken beendete er das Gespräch.
Dann sagte er mir, dass ich am Montag ( also doch schon nach zwei Wochen ) aus dem Krankenhaus entlassen werden würde, weil ihm meine Worte davon überzeugt hatten, dass ich soweit seih und ich auf dem richtigen Weg war und dann am Montag in die Wohngemeinschaft der Diakonie ziehen konnte.
Plötzlich bekam ich Angst vor meiner eigenen Entscheidung. Ich hatte hier erzählt, was der Psychologe hören wollte und er hatte es mir abgenommen? Musste ich nun in zwei Tagen zu meiner Entscheidung stehen und wieder trinken?