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von FatFreddy » 18.03.2017, 12:24
Hallo liebes Forum!
Wie lebe ich trocken?
Ich schrieb ja bereits, dass ich bereits im Krankenhaus auf der Normalstation begonnen habe, darüber nachzudenken, wie ich trocken leben kann. Wenn mein gesundheitlicher Zusammenbruch und das Überleben, welches ich als einmalige neue Chance, die mir wieder kommen würde betrachte, einen Vorteil hatte, dann den, dass ich eine lange Pause sowohl körperlich als auch psychisch von Alkohol und Zigaretten hatte. Ich betone die Nikotinabhängigkeit deswegen immer explizit, weil ich bereits damals an COPD litt und ich mir zwar irgendwie grundsätzlich ein trockenes Leben, aber niemals ein nikotinfreies vorstellen konnte. Ich habe quasi Kette geraucht, wenn mein Hartz nicht reichte, habe ich lieber auf Essen verzichtet. Aber niemals auf Zigaretten. Die Quittung ist heute, dass jch erhebliche Einschränkungen habe, weil die Lungenfunktion schwer beeinträchtigt ist.
Ich dachte mir damals: dü bist nun so und so viele Wochen ohne Alkohol und Zigaretten ausgekommen, es geht also, dann wärst du dumm, das bisher Erreichte wieder zu zerstören. Mit dem Alkohol war das im Krankenhaus ja kein Problem: ich lag wegen der Keime alleine in einem Zimmer, niemand der mich besuchte kam mit Alkohol oder Fahne, ich war dauerhaft bettlägerig und nur in dem Zimmer. Mit dem Rauchen war es etwas schwieriger, denn so manche Schwester, die hereinkam, war offensichtlich kurz vorher draußen rauchen. Bei dem Tabakgeruch gingen immer wieder Trigger an. War aber glücklicherweise auch sofort wieder besser. Beim Alkohol dachte ich, dass ich ja auch in den Entgiftungen oder anderen Klinikaufenthalten nie Suchtdruck hatte. Der kam immer, wenn ich alleine wieder in der alten Umgebung war, alleine mit Ängsten, Depressionen, Trauer, Liebeskummer und Erinnerungen an eine Kindheit, für die man meine Erzeuger heute noch nachträglich in den Knast stecken sollte.
Nach Gesprächen mit einem Sozialarbeiter und dem Seelsorger beschloss ich, da ich ja gar nicht mehr in meine alte Wohnung gehen würde (außerdem lag die im dritten Stock), meine Angehörigen zu beauftragen, möglichst viel Ballast aus der alten Umgebung zu entsorgen und meine Exfrau, sich so viel sie für sich und unser Kind an Möbeln, Geräten usw gebrauchen konnte zu nehmen. Im nächsten Schritt überlegte ich, welche Kontakte ich ab sofort vermeide. Da war vor allem die On/Off-Beziehung mit einer Frau (ehemalige Mitpatientin), mit der ich eigentlich immer nur getrunken hatte. Sie war Quartalstrinkerin, wobei ich denke, dass bei diesen Trinkern eher eine massive bipolare Störung vorliegt, und in der Krise exzessiv getrunken wird. Wie dem auch sei, weil sie eben nach so einer Phase plötzlich von einer Sekunde auf die andere aufhörte zu trinken (oder in einer Klinik landete) und dann monatelang komplett trocken war, sah sie sich nicht als krank und hielt alle anderen für blöd, so drückte sie sich aus. Mir wurde, so sehr ich sie trotz aller Umstände ins Herz geschlossen hatte, klar, dass ich mit ihren Trinkphasenihrem Verhalten währenddessen niemals klarkommen würde. Da wir sowieso bereits mal wieder eine Off/Phase hatten, habe ich mich nie wieder bei ihr gemeldet. Ans Telefon gehe ich sowieso grundsätzlich nur, meine wenigen verbliebenen Menschen, mit denen ich loyal zu tun habe, wissen, wo und wie sie mich jederzeit erreichen. Ich will einfach nur meine Ruhe.
Ich ging auch meine Freunde und Bekannten durch. Ein Teil war sowieso weg, als ich mich als Alkoholiker outete, wandten Sir sich angewidert ab. Vor allem die, die selbst offensichtlich gefährdet waren oder sich andere Dinge durch die Nase ziehen und glauben, das merkt keiner. Ich habe drei wirklich enge gute Freunde und Vertraute, wir kennen und von klein auf, haben zusammen bis zum Abi die Schulbank gedrückt, kommen aus jeweils völlig unterschiedlichen sozialen Umgebungen und haben doch viel gemeinsam oder ergänzen uns. Wir haben auch und ausgiebig getrunken und gefeiert, unsere alten Kneipenexzesse während des Studiums waren fast legendär. Aber der Unterschied ist, dass wir eben vor allem zusammen gelernt haben, die ersten Mädels kennen lernten, zusammen im Urlaub waren, Angeln und und und. Eben nicht nur trinken. Diese drei akzeptieren mich so, wie ich bin. Sie nehmen Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand, niemand von ihnen würde je auf die Idee kommen, in meiner Gegenwart alkoholisiert herzukommen. Klar gehen sie gerns auch noch mal einen trinken, aber der Unterschied gu. mir ist, dass sie nicht trinken MÜSSEN. Ich dagegen weiß heute definitiv, dass ich, wenn ich auch nur ein Bier trinken würde, sofort das Verlangen nach dem alten Level, das Verlangen nach Wodka hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, einfach wegen des Genusses ejn Bier zu trinken und gut ist es. Das war immer so: beim ersten Schluck Bier wollte ich sofort Schnaps. Nur früher habe ich das vor mir selbst geleugnet.
Den Kontakt zu anderen alten Schulfreunden, die damals nur beim Saufen dabei waren, habe ich seitdem gemieden. Einige riefen mich zwar an, aber wenn ich gemerkt habe, dass sie angetrunken anriefen wusste ich, dass sie sich nicht verändert haben und ließ es sein. Ich habe zwei Geschwister, mit einem Bruder war ich oft zum Trinken unterwegs. Eigentlich haben wir uns nur dann verstanden. Jetzt haben wir keinen Kontakt mehr, er weiß wohl nicht, was er mit mir anfangen soll. Meine Schwester dagegen trinkt nicht, jetzt haben wir endlich Kontakt, den sie früher eher nicht wollte, weil ihr die Trinkerei zuwider war
Jeder, der heute zu mir kommt, respektiert meine Abstinenz. Hier wird auch nicht geraucht. Alles, was mich an alte Verhaltensmuster erinnern könnte, meide ich bis heute. Ich ernähre mich anders, was nicht schwer fällt, denn ich vertrage nur noch wenige Nahrungsmittel. Ich habe einen festen strukturierten Tagesablauf, der im wesentlichen durch die zeitlich versetzte Einnahme von Medikamenten, Zuckermessen und Insulin spritzen bestimmt ist. Ich lasse keinen Stress mehr an mich heran, ich werde von einer Sozialarbeiterin unterstützt.
Was sich geändert hat: früher waren alle meine Ängste, Depressionen, soziale Phobie verdeckt durch den allabendlichen Alkoholmißbrauch. Auch wenn man am Tag null Promille gehabt hätte, der jahrzehntelange Alkoholkonsum verändert einen Menschen. Ich war immer gleich (gut) drauf, ich weiß heute, dass ich trinken musste, weil ich nur so leben konnte.
Heute kommen alle Ängste und Phobien komplett immer stärker heraus. Ich habe auch hier durch diverse Therapien Unterstützung. Am meisten hemmt mich die soziale Phobie. Wer mag kann das ja mal googlen. Dadurch kann ich nicht in eine SHG, obwohl bei mir fast um die Ecke eine ist. Aber ich habe nun Kontakt mit einer SHG speziell für Leute mit sozialer Phobie aufgenommen. Das größte Problem ist immer, wie ich dorthin komme, den ich habe erhebliche Einschränkungen der Mobilität.
Als jch 2014 aus der Klinik kam, habe ich bis Mitte 2015 irgendwie nur vegetiert. Die Zeit lief am mir vorbei, ich war wie ein Zombie. Nach dem Wechsel der Psychiaters wurde ein Antidepressivum, welches ich offensichtlich nicht vertragen habe, gegen ein anderes gewechselt. Seitdem ist das Leben nicht einfacher geworden, aber jch bin klar wie nie und arbeite meine Vergangenheit auf. Aus diesen Gründen kommen die Therapeuten immer gerne zu mir, das ist wohl für sie eine Erholung. Andere Patienten sind wohl weniger kooperativ.
Mein Leben war und ist nicht einfach. Es ist schwer wahrhaben zu müssen, dass man körperlich weniger fit ist als seine fast 90-jährigen Eltern. Es ist nicht angenehm, seinen Traumata ins Auge zu sehen. Es ist nicht schön erkennen zu müssen, dass man von Anfang an bereits psychisch vom Alk abhängig war. Aber ich freue mich jeden Morgen, egal wie die Schmerzen sind, dass jch lebe, freue mich auf das wunderbare Brot, auf ein Ei, auf meinen Kaffee. Ich lese viel, da habe ich Nachholbedarf, denn die letzten Jahre des Trinkens waren eine Zeit der Verblödung. Wenn ich mir heute vorstelle, wie ich jahrelang mit im Kopf hatte, wo ich Alkohol herbekomme, wo ich ihn verstecke, wo jch ihn versteckt habe, ob ich noch fahren kann, wie ich letzte Nacht eingeschlafen bin, was passiert ist.... dann wird mir ganz schlecht. Dann freue ich mich umso mehr, dass ich FREI bin von allem, was das Trinken s mit sich brachte.
Ich habe in den über drei Jahren Trockenheit keinen Suchtdruck gehabt, ich vermeide es aber auch, auf Veranstaltungen zu gehen, auf denen getrunken wird. Das möchte ich mir nicht antun. Ich glaube auch nicht, dass ich etwas verpasse. Was wir früher gefeiert haben, das reicht für 100 Jahre. Es ist allerdings auch nicht ganz ausgeschlossen, dass die Kombination von starken Schmerzmitteln und Psychopharmaka irgendwie dazu beiträgt. Das kann man vermuten, aber nicht beweisen. Zumal jeder Psychopharmaka anders verträgt bzw. verwertet. Es gibt keine Pille gegen Alkoholismus. Auch gegen Heroinsucht gibt es nichts. Die Substituierung von Abhängigen mit Meta usw. ist genau die Droge, nur eben nicht gestreckt mit irgendwelchem Dreck und ohne euphorisierende Wirkung.
Es gibt Leute, die verweisen auf den französischen Arzt und seine Erfahrungen mit Medikamenten. Dazu sage ich: lest genau. Er wollte nicht TROCKEN werden, geschweige abstinent. Er wollte nur WENIGER trinken. Auch an Märchen vom kontrollierten Trinken glaube ich nicht. Ich habe abends nie mehr als eine bestimmte Menge getrunken. Und?
Für mich gibt es nur Abstinenz oder sich zu Tode trinken. Ich hatte mich 2009-2011 mit Mitpatienten angefreundet. Wir waren mit mir mal 15 Leute. Nur noch ich und ejn anderer leben noch. Alle (!) Anderen sind bereits verstorben, sie waren zwischen 32 und 61. Alle an den Folgen des Alkohols.
Ich hoffe, dass ich meine Abstinenz bis an mein Ende aufrecht erhalten kann.