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von c2h5oh » 12.01.2013, 07:48
@Frank
Guten frühen Morgen,
meine Töchter warten auf den Kriminalroman, deshalb sitze ich hier schon seit einiger Zeit. Ich möchte versuchen, dir eine erste Methode des strukturellen Musikhörens zu beschreiben und näherzubringen, die ohne Noten- und andere Grundkenntnisse auskommt. Das Notenlesen und -schreiben ist übrigens sehr einfach zu erlernen, das lernst du wie ein dir fremdes Zeichensystem einer Sprache.
Zu dieser ersten Einführung nehmen wir eine Bachfuge, etwa die C-Dur-Fuge aus dem 1. Teil des Wohltemperierten Klaviers. Das ist eine 4-stimmige "einfache" Fuge. "Einfach" bedeutet, dass sie nur ein Subjekt (Fugenthema) enthält, sonst spricht man von Doppel-, Tripel- oder Quadrupelfuge.
Wir konzentrieren uns zunächst nur auf das Fugenthema (Dux), das die Fuge einleitet. Spiel dieses Thema solange, bis du es dir gut eingeprägt hast. Die einzelnen Töne bewertest du mit lang, kurz, nach oben führend, nach unten führend. Dann hörst du ein Stück weiter. Du stellst fest, dass das Thema auf einer anderen Tonstufe (5 Töne höher = Quinte) wiederholt wird, während das Ursprungs-Thema zum "Begleiter" (Comes) wird. Höre zunächst wiederholt nur das Zusammenspiel der beiden Stimmen. Wie bewegen sich die Stimmen? Parallel? Bewegt sich eine eine nach oben, die andere nach unten? Wenn du dir ein klares Bild der Stimmenbewegung gemacht hast, höre wieder etwas weiter. Das Thema setzt erneut ein, dieses Mal wieder in der Grundtonart (nur tiefer). Jetzt versuchst du, die Führung der drei Stimmen zu erfassen. Wieder versuchst du zu ermitteln, welche Bewegungen zwischen den drei Stimmen stattfinden. Es setzt dann die vierte und letzte Stimme mit dem Thema wieder 5 Töne verschoben ein, aber für die erste Hörstunde ist das genug. Nach dieser konzentrierten Hörarbeit gönne dir die ganze meisterhafte Fuge. Du wirst vielleicht überrascht sein, dass du "so ganz nebenbei" einige der fugeneigenen Abenteuer erlebst (aha, wieder das Thema, aber dieses Mal in Moll...mhm, wird da das Thema etwa gespiegelt? Huch...die Symmetrie passt genau zu den anderen Stimmen).
Was mir eine (gute) Fuge so wertvoll macht: sie stellt die Regeln selbst auf, die sie dann befolgt.
LG Jonas