Beitrag
von Aurora » 16.10.2018, 09:16
Liebe Thalia,
ich finde deinen Beitrag gerade sehr gut und er spricht mich richtig an!
Ich denke es ist immer ähnlich. Egal in welcher Abhängigkeit oder Lebenslage ich stecke. Ich kann nur etwas ändern, wenn es wirklich aus mir selbst heraus kommt. Und dieser Zeitpunkt ist individuell, hängt von der Persönlichkeit eines Menschen ab.
Ich kann da ja jetzt nur aus meiner eigenen Sicht und Erfahrung schreiben. Ich war ja wirklich sehr, sehr lange in der Coabhängigkeit. Habe mich regelrecht daran festgehalten. Das hatte verschiedene Gründe. Vor allem war es Angst und ein Pflichtgefühl, meine Prägung, weibliche Sozialisierung. Die Angst setzt sich dabei aus verschiedenen Ängsten zusammen, ist eine Art Oberbegriff.
Im Laufe der Ehe-Jahre hatte sich da etwas entwickelt. Zuerst war es eine Unzufriedenheit in der Ehe, die ich mit verschiedenen Dingen kompensiert habe. Aus der Unzufriedenheit wurde mehr und mehr aber ich habe nichts dagegen unternommen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich da was ändern könnte. Für mich war es "normal" und bot mir trotz allem einen Rahmen, in dem ich leben wollte, an dem ich festhalten wollte. Irgendwie gab der mir ja Sicherheit.
Die Situation wurde immer unerträglicher und Menschen sprachen mich ja darauf an bzw redete ich mit engen Freunden oder in der Familie darüber, beklagte mich, jammerte, aber echte Hilfe wollte ich nicht. Ich habe alles abgewiesen und wollte nur in meiner Not bestätigt werden und Bedauern bekommen. Ideen einer Veränderung konnte ich gar nicht aushalten. Ich steckte im Leid fest und war unfähig, was zu verändern.
Irgendwann merkte ich aber doch, dass ich was machen muss. Es ging mir ja immer schlechter. Ich ging also zu einer Suchtberatung, war bei einer Selbsthilfe-Organisation, einer ganz kleinen hier in Berlin, und habe da mit einer Betroffenen geredet. Da war ich dann immer erst mal auch motiviert aber das hielt immer nicht lange vor. Und ich steckte wieder im alten Verhalten. Es kam mir alles so umständlich und beschwerlich vor und ich hatte für mich selbst 1000 Ausreden, warum ich gerade jetzt nichts ändern konnte. Immer war da Angst (als Oberbegriff) und Prägung. Diese Muster waren sehr stark und ich war nicht in der Lage, sie zu durchbrechen. Ich hatte mich einfach irgendwie meinem Schicksal ergeben und war nicht erreichbar. Meine Freundinnen redeten schon recht deutlich zu mir und ich war dann regelrecht wütend auf sie.
Die hatten gut reden, so meine Gedanken, die würden ja im gemachten Nest sitzen und wüssten gar nicht, was das alles heißt. Ich wollte zwar jammern und meinen Frust los werden aber Hilfe konnte ich nicht annehmen.
Es war kurz vor 12 gewissermaßen, da hat es endlich geschnackelt bei mir. Da war ich so am Ende dass ich nicht mehr leben wollte. Alles erschien mir völlig sinnlos und ich hatte schon kaum noch Würde und Selbstachtung für mich übrig. Da endlich, endlich konnte ich handeln! Hilfe annehmen, verändern. Erst da kam ein Prozess in Gange, der bis heute läuft. Meine Ängste und Sozialisierungen waren und sind ja noch immer auch da, sie sind ein Teil meiner Persönlichkeit. Aber ich habe gelernt, mit ihnen umzugehen, anders umzugehen als vorher. Und das ermöglicht mir zu handeln.
Das ist also meine Erfahrung als Coabhängige, die auch einen individuellen Tiefpunkt brauchte, um in die Puschen zu kommen. Meine Tanten hatten diesen Punkt anscheinend überschritten, denn sie haben es nie geschafft, da raus zu kommen. Und diese schlimmen Beispiele haben mir schlussendlich mit die Augen geöffnet. Dann als ich erkennen konnte, wie sie gelebt und zugrunde gegangen waren. Und das wollte ich nicht...
Aurora