Damit kann man es ganz gut umschreiben.Nicht aushaltend, begrenzt oder in irgendeiner anderen Form limitiert, sondern frei gewählt, geniessend und einfach lebendig.
Aushaltend habe ich oft versucht; auch dieses eine Jahr der Abstinenz war ein "aushalten", bis die Zeit um ist.
Es ist der Gedanke an das "nie mehr trinken", welches mich umtreibt.
Da kommen Sätze im Kopf hoch, wie z.B.
- Jetzt darf ich nie mehr Bier trinken
- Wie gestalte ich jetzt meine Abende sinnvoll?
- was mache ich in der Zeit, wo ich nicht trinke?
Dass diese Sätze kompletter Blödsinn sind, weiss ich selbst. Ich weiss auch, daß ich meine Abende anders verbringen kann (mache es ja auch) und langweilig ist mir auch nicht.
Durch 10 Jahre Nichtrauchen weiss ich, daß dieses Denken irgendwann verschwindet.
Aber trotzdem spuken die Sätze im Kopf herum.
Im Moment mache ich es so, daß ich abends früher ins Bett gehe und lese. Habs ja schon geschrieben; der Entspannungsfaktor ist extrem hoch!
Wir hatten in der letzten Sitzung ein Thema aus meiner Jugend, daß ich etwas verdrängt hatte:
Abhauen!
In meiner Jugend bin ich sehr oft von zu Hause abgehauen. Und das nicht nur einmal, sondern teilweise 2-3x/Jahr. Und dann auch richtig weg, weit weg:
- mit 12 aus der Provinz in eine Großstadt und dort mehere Tage ohne Geld, Essen + Schlafsack im Park übernachtet (2x)
- weitere Eskapaden, wo ich immer mehrere Tage weg war.
Hauptgrund für dieses Abhauen war die tatsache, daß ich mit ca. 12 Jahren von Fremden erfuhr, daß ich adoptiert bin.
Ausserdem gab es ein Ereignis 1-2 Jahre später, daß mir den Boden komplett weggezogen hatte:
- meine Adoptivmutter erwähnte in einem Streit, daß sie mich gerne wieder ins Heim zurückschicken würde und statt dessen ein anderes Kind adoptieren können.
Seit diesem Zeitpunkt waren meine Adoptiveltern Fremde für mich und habe alles unternommen, ihnen das leben richtig schwer zu machen.
Das Abhauen war so eine Art "Befreiung"- kurz vor einer Tour war ich immer extrem gestresst, hatte Angst, Panik und kam mir vor wie ein flüchtender Sträfling, der jeden Augenblick entdeckt wird. Das ging sogar soweit, daß ich Angst hatte, solche Gedanken (an abhauen) zu haben, es könnte ja jemand mitbekommen!!
Die "Flucht" ging dann immer sehr schnell und unvorbereitet von statten. Das kam teilweise sehr heftig und plötzlich. Ich setzte mich dann in Züge (ohne Fahrkarte), klaute Moppeds oder ging einfach zu Fuss.
Geld hatte ich meist nicht oder nur wenig dabei - Hauptsache weg!
- Das ich niemandem Bescheid sagte, war mir egal.
- Daß "die" sich Sorgen machen könnten, war mir egal
- Daß mir etwas passieren könnte, war mir egal
Und dann kommt ein interessantes Phänomen:
Wenn ich wieder zurück war, brachte man mir plötzlich so etwas wie Zuneigung oder Liebe entgegen. Ich badete förmlich darin, daß sich alle um mich Sorgen gemacht hatten. Für mich fühlte sich das alles aber nur "Gespielt" an.
Diese "Sucht" abhauen setzte sich bis in spätere Jahre fort und erst, als ich einen aktiven Schnitt mit meinen Adoptiveltern machte und den Kontakt komplett abbrach, war das Thema vorbei.
Alkohol kam erst später ins Spiel; er versetzte mich in einen Zustand ohne Gedanken; ich konnte ins Bett gehen, ohne das Chaos im Kopf.
Und da Bier immer am leichtesten greifbar war, wurde es das Getränk der Wahl.
Manchmal habe ich so einen flüchtigen Gedanken:
"Jetzt bist du bald 52, hör endlich auf mit den ollen Kamellen wie Adoption usw. Ist doch alles schon lange vorbei."
Und wenn ich dann mit jemandem darüber rede, komm ich mir vor wie ein "Heulbubi", der die ollen Kamellen immer wieder ausgräbt.
Fakt ist aber: Die Geschichten haben mich mein Leben lang begleitet. Die Suche nach meinen leiblichen Eltern half mir sehr dabei, das zu verarbeiten. Der Kreis schließt sich aber erst, wenn ich weiss, wer mein leiblicher Vater ist. Hier stehe ich kurz vor einem Ergebnis.
Wut?
Ist immer noch da:
- auf meine Adoptiveltern
- auf meine leibliche Mutter
- auf alle Personen, die damals die Klappe gehalten haben
Aber damit kann ich mittlerweile auch umgehen und habe hie und da auch Anwandlungen, zu verzeihen.
Ergebnis eines letzten Therapiegespräches ist somit:
Mein treuester Begleiter seit meiner späten Jugend (ab 15/16) ist das Bierchen zur Entspannung.......